Ein Beitrag der Paderborner Germanistik zur Caritas-Ausstellung
Ein Bericht von Dr. Marta Famula und Natalie Hansen, Universität Paderborn
Eine neue Form der Kooperation zwischen Universität und Diözesanmuseum Paderborn wurde im Rahmen der Ausstellung „CARITAS. Nächstenliebe von den frühen Christen bis zur Gegenwart“ erprobt. Die auch überregional überaus positiv aufgenommene Ausstellung vom Juli bis Dezember 2015 im Diözesanmuseum Paderborn wurde durch eine Gesprächsreihe bereichert, die der Paderborner Germanist Prof. Dr. Lothar van Laak in Zusammenarbeit mit der Leitung und den Kuratoren des Diözesanmuseums, Prof. Dr. Christoph Stiegemann und Dr. Christiane Ruhmann, konzipierte. Unter dem Titel „UnBarmherzigkeit LiebesVerLust – KontraPunkte der Liebe“ wurden an vier Abenden die vielfältigen, historisch bisweilen auch kontroversen Vorstellungen von Liebe und Nächstenliebe vom Mittelalter bis in die Gegenwart intensiv diskutiert.
Die Möglichkeit den Nächsten zu lieben und die damit verbundenen ethischen und kulturellen Herausforderungen stellten einen Kerngedanken der Diskussionen dar, der thematisch vom Mittelalter über die beiden Jahrhundertwenden um 1800 und um 1900 bis in die medial geprägte Gegenwart entfaltet wurde. Im Sinne einer anschaulich werdenden Wissenschaft wurden die beeindruckenden Exponate der Ausstellung immer wieder einbezogen und im interdisziplinären Wechsel der Perspektiven zum Sprechen gebracht. Dazu trugen Wissenschaftler von der Nachbaruniversität Bielefeld und der Universität Paderborn bei, die Prof. Dr. Lothar van Laak für die vier Abende zum Dialog eingeladen hatte.
Den Anfang machte ein Gespräch mit dem Mediävisten Prof. Dr. Meinolf Schumacher von der Universität Bielefeld im September 2015, in dem die Nächstenliebe vor den mittelalterlichen Vorstellungen von Sünde und Erlösung in den Blick genommen wurden. Mit der Reformation in der Wende zur frühen Neuzeit wird die Nächstenliebe zu einer Tugend, die dann auch der Einzelne aus Sorge um sich selbst zu leisten hat.
Die Überlegungen, dass der Einzelne in seiner Individualität und seinem Liebesbegehren auch die Nächstenliebe auf sein Weltverhältnis beziehen muss und dass dies auch eine Herausforderung an die Konzepte von Liebe und Nächstenliebe darstellen kann, wurden im Oktober in der Diskussion mit dem evangelischen Theologen Prof. Dr. Jochen Schmidt (Universität Paderborn) weiter entwickelt. Die Erfahrung von der Unverfügbarkeit des geliebten Du lässt im Zeitalter der Aufklärung dabei allmählich Formen der Eigenliebe erkennen, die in Widerspruch zur Nächstenliebe geraten können. Das Publikum diskutierte an diesem Punkt, der auch aktuelle Fragen von Kultur und Ethik betrifft, sehr engagiert und kontrovers mit.
Die Diskussion um die ethische Dimension der Nächsten- und Eigenliebe bildete auch den Ausgangspunkt für das dritte Gespräch mit der Paderborner Literaturwissenschaftlerin Dr. Marta Famula im November. Es legte den Schwerpunkt auf Kunst, Kultur und Literatur der Jahrhundertwende um 1900. Die Sensibilität für die selbstbezogene Ausrichtung der Caritas wurde nun im Kontext der Moderne betrachtet. Mit ihren Folgen von Industrialisierung, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung sowie der prinzipiellen Verfügbarkeit des ‚flexiblen’ modernen Menschen hat sie ganz neue Kontrapunkte zu den Vorstellungen der christlichen Tugend der Caritas gesetzt, die auch heute noch aktuelle Herausforderungen sind.
Den Abschluss bildete im Dezember das Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Rita Morrien von der Universität Paderborn. In ihm rückte das Medium Film ins Zentrum des Interesses. Am Beispiel von Michael Hanekes „Liebe“ und Lars von Triers „Breaking the Waves“ wurde deutlich, dass Liebe und Nächstenliebe nicht nur zentrale Themen der Gegenwart (geblieben) sind. Vielmehr muss das Wechselverhältnis zwischen der Rücksicht auf und die Sorge um den Anderen einerseits und die Selbstansprüche und Selbstanforderungen andererseits immer wieder neu auszutariert werden, damit Kultur gelingen kann.
Welchen Beitrag Kunst und Literatur dazu beigetragen haben und beitragen können, machte die vierteilige Gesprächsreihe aspektreich deutlich. Bei zukünftigen Ausstellungen, so sind sich die Veranstalter einig, soll deshalb das Format einer Ausstellung in der interdisziplinären wissenschaftlichen Diskussion fortgesetzt werden.
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